Stimme des Monats Mai
Personalberaterin und Recruiting-Profi Dr. Karin Medved im Interview mit LexisNexis über die Entstehung ihres neuen Werkes „Recruiting-Kompass“, wie aus BewerberInnen Job-InteressentInnen werden, welche Entwicklungen und Trends sie sieht und vor welche Herausforderungen Recruiting in Pandemiezeiten gestellt wird.
Frau Dr. Medved, wie war es für Sie als Praktikerin Ihre Erfahrungen in Buchform zu gießen? Und – warum haben Sie überhaupt ein derartiges Buch geschrieben?
Es war für mich die Möglichkeit persönliche Erfahrungen an möglichst viele Menschen weiterzugeben. Ich erinnere mich noch gut an meine Ausbildung an der Uni, wo ich mich unter anderem auf Personalmanagement spezialisiert habe. Wie Recruiting praktisch funktioniert, war in keiner Lehrveranstaltung ein Thema. In der Praxis ist Recruiting aber eine zentrale und wichtige Aufgabe einer Personalabteilung und vielfach auch Gradmesser für Erfolg oder Misserfolg der Abteilung.
Wichtig war mir, dass das Buch einfach zu lesen ist, also nicht wie eine wissenschaftliche Publikation, sondern fast wie ein „Kochrezept“. In meiner Tätigkeit als Personalberaterin bin ich häufig mit Menschen im Gespräch, die mir ihre negativen Erlebnisse mit Recruiting und RecruiterInnen erzählen. Ich glaube, dass mein Buch dazu beitragen kann, schnell Verständnis für die wesentlichen Aspekte im Prozess der Personalsuche und des Kennenlernens zu entwickeln.
Was unterscheidet Ihr Buch von anderen Publikationen?
Kurz, prägnant und mit vielen praktischen Tipps führe ich durch den gesamten Prozess der Personalsuche. In jedem Recruiting-Prozess sind Entscheidungen zu treffen: wer, wann, was und wie machen soll. Dieses Buch bietet Entscheidungshilfen und Optionen, die im jeweiligen Prozessstadium zu treffen und/oder zu berücksichtigen sind. Wenn man dieses Buch gelesen hat, dann hat man einen Leitfaden, wie MitarbeiterInnensuche funktioniert. Und eine gute Basis, um sich mit einzelnen Aspekten vertieft zu beschäftigen. Mein Mitautor, Dr. Klaus Cavar, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht, hat dazu die jeweils relevanten rechtlichen Themen skizziert.
Wie werden aus BewerberInnen Job-InteressentInnen und warum macht dieser Begriff Sinn?
In vielen Branchen und Berufen ist es herausfordernd, MitarbeiterInnen zu finden, die sowohl auf menschlicher Ebene als auch mit ihren Kompetenzen zum jeweiligen Unternehmen passen. Trotzdem wird auch in derartigen Konstellationen immer noch von BewerberInnen gesprochen und damit automatisch eine kommunikative Schieflage erzeugt. Ich denke, es sollte in jedem Unternehmen darum gehen, im Miteinander etwas zum Unternehmenserfolg beizutragen und gemeinsam etwas zu schaffen. Dies setzt einen respektvollen Umgang „auf Augenhöhe“ voraus. Das heißt nicht, dass jedes Kennenlerngespräch zu einer „Kuschelvariante“ verkommt. Im Gegenteil, es soll für beide Seiten ein konstruktives und detailliertes Kennenlernen sein, sodass beide Seiten eine gute Entscheidungsgrundlage haben, ob eine künftige Zusammenarbeit Sinn macht. Wenn es eine Situation gibt, wo sich viele Menschen für eine Position bewerben, so macht es für die weitere Zusammenarbeit Sinn herauszufinden, ob beide Seiten zusammenpassen und daher ein Kennenlerngespräch auf Augenhöhe geführt wird, oder ob „von oben herab“ beurteilt wird. Auch für das Image eines Unternehmens macht einen Unterschied aus, wie mit JobinteressentInnen umgegangen wird.
Wie ist Ihre Einstellung zur VUCA-Welt*?
Ich glaube, dass ich durch meine persönliche Geschichte:
- Lehrling mit 15
- Matura in der Abendschule neben dem Job
- Studium nach der Babypause
- Personalleitung in einer dynamischen Branche
- Gründung eines eigenen People Consulting Unternehmens
immer schon in einer VUCA-Welt gelebt habe, schon lange bevor dieser Begriff zu einem gängigen Begriff wurde. Ich denke, dass ich dadurch frühzeitig eine relativ hohe Resilienz, gepaart mit Flexibilität, ausprägen konnte. Dies hat sich durch Alter und Erfahrung noch weiter verstärkt. Das ist auch etwas, was ich in der Coaching-Beratung gerne und glaubwürdig vertrete und dadurch bei Veränderungsprozessen gut unterstützen kann.
(*Anm. der Redaktion: VUCA ist ein Akronym und setzt sich aus den vier Begriffen Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität zusammen. Es steht für die Beschreibung der veränderten Rahmenbedingungen, unter denen heute Entscheidungen getroffen werden müssen.)
Sie sind seit vielen Jahren Personalberaterin und Recruiting-Profi, insbesondere für die Rechtsberufe: Wo sehen Sie wichtige Entwicklungen und Trends, innerhalb und außerhalb Ihrer (Haupt-)Zielgruppe?
Ich sehe, dass viele Unternehmen in Employer-Branding investieren, dass diese tolle Candidate Journeys versprechen und dass Gamification in vielen Branchen Einzug findet. Ich sehe aber auch, dass es vielfach immer noch an der Basis hapert. Wenn JobinteressentInnen keine Antwort bekommen, wenn diese von oben herab behandelt werden, wenn keinerlei Beziehung aufgebaut wird, dann wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, zuallererst hier anzusetzen. Was wir auch sehen ist, dass im Recruiting-Prozess viel versprochen wird, die Realität dann manchmal/oftmals anders aussieht. Natürlich gibt es Unternehmen, die sehr vieles gut und richtig machen und durchdachte und wertschätzende Kennenlern- und Entscheidungs-Prozesse haben. Aber es gibt auch noch (zu)viele, die mit Menschen wenig wertschätzend umgehen.
Welche Herausforderungen sehen Sie in Pandemiezeiten im Recruiting?
Recruiting, wie ich es verstehe, ist ein Beziehungsaufbau, ein Prozess in dem JobinteressentInnen und Unternehmen, oder/und vorgeschaltet PersonalberaterInnen versuchen, einander so gut kennen zu lernen, damit letztlich für beide Seiten eine gute Entscheidungsgrundlage gegeben ist, ob eine Zusammenarbeit erfolgreich sein kann. Und – wie ich in meinem Buch schreibe – ist der Recruiting-Prozess erst dann erfolgreich abgeschlossen, wenn MitarbeiterInnen vollständig integriert wurden. Dazu sind persönliche Kontakte sehr hilfreich. In Zeiten wie diesen ist der persönliche Kontakt massiv eingeschränkt. Kennenlerngespräche finden vornehmlich virtuell statt und damit steht ein Teil des Wahrnehmungssensoriums nicht zur Verfügung. Die für ein gutes Gespräch notwendige, angenehme und vertrauensvolle Atmosphäre ist schwieriger zu schaffen, da viele Rituale wegfallen, wie z.B. die gewohnte Begrüßung, das Anbieten eines Getränkes oder ein Small Talk. Auch auf der Ebene der nonverbalen Kommunikation ist die Wahrnehmung für beide Seiten eingeschränkt, solange ein Gespräch virtuell geführt wird. Ich denke, dass der Einsatz von virtuellen Gesprächen auch nach Ende der Pandemie nach wie vor häufiger stattfinden wird, aber dass auch die persönlichen Gespräche wieder ihren Stellenwert bekommen werden und sich so ein gesunder Methodenmix entwickeln wird.
Eine weitere Herausforderung für Unternehmen ist mit Sicherheit das virtuelle Onboarding. Insbesondere für BerufseinsteigerInnen ist das manchmal frustrierend. Wir haben Feedback von Personen, die uns erzählen, dass sie bereits seit einem Jahr in einem Unternehmen tätig sind, aber erste eine Handvoll Personen Kennenlernen konnten, dass die Einschulung vielfach zu kurz kommt und spontane Fragestellungen, sowie informeller Informationsaustausch nicht möglich sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dr. Karin Medved, Personalberaterin und Recruiting-Profi führt mit Medved & Partner OG ein Personalberatungsunternehmen, das auf die Beratung von Rechtsanwaltskanzleien, Rechtsabteilungen und JuristInnen spezialisiert ist. Zusätzlich dazu bringt sie langjährige Erfahrung als Personalleiterin bei Schönherr Rechtsanwälte und Mitarbeiterin in Personalabteilungen von Industrieunternehmen mit. Recruiting war und ist eine ihrer zentralen Kompetenzen, die nach wie vor mit Freude und Leidenschaft gelebt wird. Außerdem ist sie führende Mitautorin des aktuellen Recruiting-Praxishandbuchs „Recruiting-Kompass“.