Die Stimmen des Monats sind diesmal Frau Univ.-Prof. Dr. Gabriele Schmölzer, Leiterin des Institutes für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Karl-Franzens-Universität Graz und Herr Univ.- Prof. Dr. Thomas Mühlbacher, Leiter der Staatsanwaltschaft Graz und Lehrender an der Karl-Franzens-Universität Graz. Zahlreiche Bestseller und Zeitschriftenartikel wurden von ihnen bereits verfasst und herausgegeben.
LexisNexis hat die beiden sympathischen Herausgeber:innen des aktuellen Werkes StPO Kommentar Band 1 zum Interview gebeten.
Frau Prof. Schmölzer, Herr Prof. Mühlbacher – selten wurde der StPO so viel mediale Aufmerksamkeit zuteil wie in den letzten Wochen, wobei vor allem die Akteneinsicht oft im Spannungsfeld mit dem Medienrecht diskutiert wird. Sehen Sie da eine Symbiose oder gibt es aus Ihrer Sicht auch Harmonisierungsbedarf?
Entgegen in letzter Zeit vielfach aufgestellter Behauptungen ist das strafrechtliche Ermittlungsverfahren nicht geheim, sondern parteiöffentlich, d.h. alle am Verfahren Beteiligten haben grundsätzlich das Recht auf Akteneinsicht. Genaue Kenntnis des Ermittlungsstandes ist eine Grundvoraussetzung für die wirkungsvolle Durchsetzung von Verfahrensrechten. In diesem Verfahrensstadium ist die Verdachtslage aber oft noch wenig konkret, und auch wenn das Verfahren später eingestellt werden sollte, könnten sowohl Beschuldigte als auch Opfer durch die vorzeitige Verbreitung der Anschuldigungen erheblichen Schaden nehmen. Das Gesetz sieht daher eine Volksöffentlichkeit des Verfahrens erst für das Hauptverfahren, in dem das Gericht die Stichhaltigkeit einer präzise ausformulierten Anklage prüft, vor und räumt dann der Öffentlichkeit und den Medien eine wesentliche Kontrollfunktion ein.
Wenn in der Medienlandschaft ständig Fragen aufgeworfen werden wie „Woraus darf zitiert werden?“, scheint das der perfekte Zeitpunkt für einen neuen StPO-Kommentar zu sein. Die Entscheidung und die Planung, dass Sie beide dieses Projekt umsetzen wollen, ist natürlich schon viel früher gereift. Wie dürfen wir uns die Herangehensweise an ein solches Projekt und die tägliche konkrete Umsetzung vorstellen?
Das Projekt steht und fällt mit unseren Autoren. Sie sind allesamt Richter:innen und Staatsanwält:innen, die ihre Erfahrung und ihre fachliche Kompetenz umfassend, aber in kompakter Form in eine wissenschaftliche Kommentierung einbringen. Wir sind glücklich, dass sie sich trotz der enormen beruflichen Belastung auf das Projekt eingelassen haben und ihm – und somit uns als Herausgeber:innen – die Treue halten. Nur so kann ein Kommentar von Praktiker:innen für die Praxis entstehen.
Was motiviert Sie? Was sind ihre persönlichen Momente im Schreibprozess, die Sie vorantreiben?
Das Strafverfahrensrecht gilt als „Seismograf“ der Staatsverfassung, weil die hier getroffenen Abwägungen der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit und der Freiheitsinteressen einzelner symptomatisch für das Verhältnis von Staat und Individuum in einem Gemeinwesen sind. Totalitäre Tendenzen werden daher in seiner Ausgestaltung und praktischen Anwendung früher und deutlicher sichtbar als in allen anderen Rechtsgebieten. Der Praxis in dieser sensiblen Materie ein speziell auf ihre Bedürfnisse abgestimmtes Hilfsmittel zur Hand zu geben, ist Anspruch und Motivation zugleich.
Wo möchten Sie beide in Ihrem Werk inhaltliche Schwerpunkte setzen?
Da sich der Kommentar in erster Linie an Strafrechtspraktiker:innen richtet, soll es nicht nur das „law in books“ sondern auch das „law in action“ beleuchten.
Sie beide stehen idealtypisch für die wichtige Verbindung zwischen Wissenschaft und Rechtspraxis. Was können die beiden Bereich voneinander lernen und wie am besten zusammenarbeiten? Vielleicht könnten Sie uns das anhand eines konkreten Beispiels näher erläutern?
Die enge Verbindung zwischen Strafrechtswissenschaft und -praxis hat in Graz eine lange Tradition. Bereits vor mehr als einem Jahrhundert entstand aus diesem Schulterschluss die „Grazer Kriminologische Schule“, die heute in dem im Strafrechtsinstitut eingerichteten „Hans Gross Zentrum für interdisziplinäre Kriminalwissenschaften“ ihre Fortsetzung findet.
Welchen Tipp würden Sie einem Absolventen oder einer Absolventin eines rechtswissenschaftlichen Studiums mit auf den Weg geben?
Denken Sie immer daran, dass von einer Entscheidung im Strafverfahren Menschenschicksale abhängen können und nutzen Sie daher die bestmöglichen Erkenntnisquellen für Ihre Entscheidungsgrundlage!
Vielen Dank für das Gespräch!