Univ.-Lektor Dr. Alexander Illedits, ist seit 1994 selbstständiger Rechtsanwalt in Wien, seit 1998 Partner der Winkler, Reich-Rohrwig, Illedits, Wieger Rechtsanwälte-Partnerschaft und Autor diverser Veröffentlichungen zum allgemeinen Zivilrecht mit Schwerpunkt Miet- und Wohnrecht. Der Experte im Bereich Miet- und Wohnrecht über die Relevanz des Immobilienrechts, die WEG Novelle 2022 und was ihn selbst am Immobilienrecht immer schon fasziniert hat.
Das Handbuch Wohnungseigentum sowie der Wohnrecht Taschenkommentar erscheinen demnächst in neuer Auflage. Was macht diese Werke aus Ihrer Sicht zu solchen „Dauerbrennern“? Und warum sollten die Werke in keiner juristischen Handbibliothek fehlen?
Richtig ist, dass der Wohnrecht Taschenkommentar nunmehr in 4. Auflage und das Handbuch zum Wohnungseigentumsrecht bereits in 7. Auflage erscheinen. Ich führe den „Erfolg“ der Werke darauf zurück, dass mit dem Wohnrecht Taschenkommentar ein aktueller Schnellüberblick zu mittlerweile dem gesamten österreichischen Miet- und Wohnrecht (inklusive dem Immobilienmaklerrecht) gewährleistet ist, wo ähnlich dem Schwimann/Neumayr ABGB Taschenkommentar auf die aktuelle Literatur und Judikatur Bezug genommen wird, dogmatische Vertiefungen allerdings nur vereinzelt und zu aktuellen Rechtsproblemen vorgenommen werden. Damit eignet sich der Kommentar nicht nur als Nachschlagwerk für die aktuelle Gesetzeslage, sondern auch für die Interpretation der jeweiligen Normen samt einschlägiger Judikatur und Fachmeinungen. Einen fachlich umfangreicheren und aktuelleren Kommentar gibt es zur Zeit am Markt nicht.
Was das Handbuch Wohnungseigentumsrecht betrifft, finden dort die notwendigen und sinnvollen Vertiefungen zur Spezialmaterie Wohnungseigentumsrecht statt, sodass man hier die Detaillösung für viele bzw. fast alle Rechtsprobleme zum Wohnungseigentumsrecht findet. Ergänzend dazu gibt es für den Praktiker diverse Vertrags- und Eingabenmuster, die den praktischen Umgang mit der Materie erleichtern.
Was macht das Immobilienrecht aus Ihrer Sicht so wichtig?
Das Immobilienrecht ist deshalb von großer praktischer Relevanz, weil jeder von uns von dieser Rechtsmaterie betroffen ist, sei es als Mieter, Wohnungseigentümer, Hauseigentümer oder Mitbewohner einer der genannten Personen. Mit diversen Fachmaterien wird sich ein Jurist im Rahmen seiner Laufbahn niemals beschäftigen müssen, weil seine Schwerpunkte eben in anderen Bereichen liegen. Mit dem Miet- und Wohnrecht muss man sich in einer der oben genannten Positionen jedenfalls auseinandersetzen und das macht meiner Ansicht nach die „Wichtigkeit“ der Materie aus.
Zurzeit ist die WEG Novelle2022 in aller Munde. Welche Neuerungen und Veränderungen bringt die WEG Novelle mit sich?
Die WEG-Novelle 2022 bringt diverse Neuerungen mit sich, die vor allem das Änderungsrecht nach § 16 WEG 2002 betreffen: Hier wird insbesondere das nachträgliche Anbringen von Langsamladestationen für Elektrofahrzeuge erleichtert und für gewisse privilegierte Maßnahmen auch eine Zustimmungsfiktion vorgesehen, dh. dass für bestimmte Änderungsmaßnahmen wie beispielsweise „die Anbringung von sich in das Erscheinungsbild des Hauses harmonisch einfügende Vorrichtungen zur Beschattung eines Wohnungseigentumsobjektes“ nicht mehr die ausdrückliche Zustimmung aller anderen Wohnungseigentümer auf der Liegenschaft erforderlich ist, sondern es ausreicht, wenn die anderen Eigentümer von der beabsichtigten Maßnahme verständigt werden und innerhalb einer 2-Monatsfrist keine negative Reaktion der anderen Eigentümer erfolgt. Ich habe das gegenständliche Beispiel bewusst gewählt, weil man an der Textierung des Gesetzgebers im neuen § 16 Abs 5 WEG 2002 erkennen kann, dass es mit der Umsetzung einzelner neuer Tatbestände in der Praxis Schwierigkeiten geben wird, weil der Gesetzgeber hier wiederum viele auslegungsbedürftige Begriffe verwendet hat. Für manch Betroffene ist die erwähnte Beschattungseinrichtung ein zulässiges Sonnensegel, für andere ein unzumutbares „Fetzendachl“, das das Erscheinungsbild des Hauses negativ beeinträchtigt. Mit vielen Detailfragen wird sich daher erst die Judikatur der nächsten Jahre auseinandersetzen müssen.
Eine weitere wesentliche Änderung betrifft die Voraussetzungen für eine wirksame Beschlussfassung unter den Wohnungseigentümern: Während bisher zwingend die Mehrheit aller Miteigentumsanteile für einen positiven Mehrheitsbeschluss erforderlich war, gibt es für Beschlussfassungsvorgänge, die ab 01.07.2022 eingeleitet werden, eine weitere zusätzliche Möglichkeit der Mehrheitsfindung: Ein Beschluss kann auch mit der Mehrheit von 2/3 der abgegebenen Stimmen, ebenfalls berechnet nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile zustande kommen, wobei die Mehrheit überdies zumindest 1/3 aller Miteigentumsanteile erreichen muss.
Damit kann theoretisch ein Mehrheitsbeschluss auch nur mit Zustimmung von zumindest 1/3 aller Miteigentumsanteile gefasst werden, wobei auch hier Detailfragen offen bleiben, wie zB die Frage, wie zwischen echten Stimmenthaltungen und abgegebenen Stimmen, die vom Ergebnis her eine Stimmenthaltung beinhalten, zu unterscheiden ist. Hier beginnt gerade erst in der Literatur eine Auseinandersetzung mit den praxisrelevanten Details.
Auch gibt es ab 01.07.2022 Vorschriften über eine Mindestdotierung der Rücklage vor allem mit dem Hintergrund, dass es damit erleichtert werden soll, sinnvolle und notwendige Erhaltungsmaßnahmen, allenfalls auch Verbesserungsmaßnahmen auf der Liegenschaft umzusetzen.
Und nun kurz zu Ihrer eigenen Motivation: Weshalb haben Sie sich im Immobilienrecht spezialisiert? Was macht das Rechtsgebiet für Sie so spannend?
Da ich mein Jusstudium in Wien in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts absolviert habe, war ich nach Abschluss meiner akademischen Ausbildung mit wenig miet- und wohnrechtlichem Sonderwissen ausgestattet. Als ich dann im Rahmen meiner Konzipiententätigkeit relativ bald Auskünfte zum Miet- und Wohnrecht erteilen sollte, war ich gezwungen, mich mit dem Wohnrecht im Detail zu beschäftigen. Aus dieser Notwendigkeit, das Immobilienrecht aufzuarbeiten, ist das Interesse am Miet- und Wohnrecht gewachsen und resultiert daraus ja die erste Auflage des Handbuches zum Wohnungseigentumsrecht aus dem Jahr 1997. Desto mehr ich mich mit der Thematik beschäftigen musste/als selbständiger Anwalt dann natürlich beschäftigen durfte, desto größer wurde das Interesse daran, die Materie nicht nur zu verstehen, sondern auch die offenen Fragen herauszuarbeiten und bei Gelegenheit auch einzelne relevante Themen bis zum Obersten Gerichtshof „auszustreiten“.
Als Autor zahlreicher Fachpublikationen und Vortragender zu diversen Themen im Immobilienrecht sowie nicht zuletzt durch Ihre jahrelange Tätigkeit als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Immobilienrecht sind Sie zweifelsfrei ein Experte auf diesem Gebiet. Gibt es dennoch ab und an Fallkonstellationen, die Sie überraschen bzw ins Grübeln bringen?
Natürlich bin ich immer wieder über praxisfremde Judikatur überrascht, beispielsweise über die Anwendbarkeit des § 37 Abs 4 WEG 2002 (Notwendigkeit eines Bauzustandsgutachtens) nicht nur für die Konstellationen der Begründung von Wohnungseigentum im Altbau, sondern auch auf die Fälle des sukzessiven Abverkaufs von Wohnungen durch den Wohnungseigentumsorganisator, selbst wenn in der Phase der Wohnungseigentumsbegründung noch für den Organisator Wohnungseigentum an einer Wohnung begründet wurde und diese beispielsweise erst 20 Jahre später an einen außenstehenden Dritten veräußert wird. Hier ist es nicht wirklich nachvollziehbar, dass auch für diesen tatsächlich Jahrzehnte nach der Wohnungseigentumsbegründung liegenden Veräußerungsvorgang ein Bauzustandsgutachten eingeholt werden muss. Auch wenn die diesbezügliche Judikatur beginnend mit der Entscheidung 6 Ob 56/16b wohl dogmatisch nachvollziehbar und nicht zu beanstanden ist, wäre es am Gesetzgeber gelegen, dieses praxisfremde Ergebnis, das zu einer ausufernden Haftung auch von Vertragsverfassern führen kann, durch eine Gesetzesänderung zu korrigieren. Leider ist der Gesetzgeber – aus welchen Gründen auch immer – zu solchen notwendigen und auch von der Lehre anerkannten bzw. befürworteten Korrekturen nicht zu gewinnen.
„Ins Grübeln kommt man auch“, um an Ihre Fragestellung anzuknüpfen, wenn man im Wohnrecht beispielsweise im WGG Textpassagen findet, die selbst für den geschulten Rechtsanwender oft erst nach Studium der erläuternden Bemerkungen sowie der aktuellen Kommentarmeinungen verständlich werden.
Selbst wenn man natürlich als Spezialist zum Immobilienrecht davon profitiert, dass die Gesetze eben so komplex sind, dass sie nur mehr von Spezialisten verstanden bzw. ausgelegt und angewendet werden können, wäre es angebracht, verständlichere Gesetzestexte zu schaffen. Dass das im komplexen Wohnrecht gerade im Bereich des Gemeinnützigkeitsrechtes gar nicht so einfach ist, ist mir schon bewusst, aber auch „schwierige Aufgaben müssen einmal gelöst werden“.
„Überraschende Fallkonstellationen“ in der Praxis gibt es für mich vor allem im Bereich des Änderungsrechtes nach § 16 WEG 2002, wo man feststellen muss, dass oft die Normen des Wohnrechtes dazu „missbraucht werden“, persönliche Animositäten unter Nachbarn auszustreiten. Der diesbezüglich skurrilste Fall, den ich aktuell zu betreuen habe, betrifft die Errichtung eines Kinderklettergerüstes in einem Wohnungseigentumszubehöreigengarten und die diesbezügliche Unterlassungsklage des Nachbarn, der meint, dass die Kleinkinder, die die höchste Position des Klettergerüstes erreicht haben, eben die betroffenen Nachbarn über den Zaun beim Nacktbaden beobachten könnten, weshalb vom Ergebnis her die Errichtung des Klettergerüstes als Änderungsmaßnahme nach § 16 Abs 2 WEG 2002 qualifiziert werden soll, sodass die Errichtung des (allerdings fundamentierten) Spielgeräts ohne Zustimmung aller anderen Eigentümer nicht zulässig sei. Wenn man berücksichtigt, dass man den erwähnten Blick in den Nachbargarten auch vom Reihenhausfenster im 1. Stock hat, dann stellt sich doch die Frage, welchen wirklichen Sinn eine solche Klagsführung hat. Vermutlich soll auf die betroffene kinderreiche Familie schikanös eingewirkt werden, weil man eben gerne einen ruhigen Nachbarsgarten ohne Kinder haben will und deshalb die Unzulässigkeit von Änderungsmaßnahmen (über)strapaziert!
Vielen Dank für das Gespräch!