Mag. Hans Erwin Nigl ist Richter am Oberlandesgericht Wien, Vortragender am Department für Europäische Integration und Wirtschaftsrecht der Donau-Universität Krems sowie Fachautor und Fachvortragender insbesondere in den Bereichen Zivilrecht (Schwerpunkt Arzthaftungsrecht) und Zivilprozessrecht. Der Experte über Haftungsfragen, die sich im Zusammenhang mit der Tätigkeit von ärztlichen Personen bei der Errichtung einer Sterbeverfügung ergeben können sowie eine allfällige Impfpflicht.
Herr Mag. Nigl, Ihr Werk zur „Arzthaftung“ ist nun bereits in vierter Auflage erschienen. An wen richtet sich dieses Werk und was macht die Neuauflage nochmals besonders lesenswert?*
Es ist ein Praxishandbuch von einem Praktiker für Praktiker. Es soll der Anwaltei und Gerichten, aber auch Mediziner:innen, in der Krankenhausverwaltung Tätigen oder anderen daran Interessierten einen Leitfaden durch das Arzthaftungsrecht bieten. Als Richter lag es für mich nahe, dabei neben den gesetzlichen Grundlagen besonderes Augenmerk auf die Judikatur zu legen, die dieses Rechtsgebiet nach wie vor wesentlich prägt und im Streitfall entscheidend ist.
Die Neuauflage wurde mit Stand Jänner 2022 neu bearbeitet und aktualisiert. Neben den Grundlagen des Schadenersatzrechts werden der Behandlungsvertrag, die Rechte und Pflichten daraus, die ärztliche Aufklärung, Behandlungsfehler und schließlich Fragen und Besonderheiten der Beweislast sowie mögliche Ansprüche und deren Durchsetzung behandelt. Abgerundet durch viele Praxisbeispiele aus der Rechtsprechung wird sowohl ein fundierter, aktueller Überblick als auch ein Nachschlagewerk mit einer Vielzahl von weiterführenden Gesetzes- und Judikaturzitaten angeboten.
Die Möglichkeit sich damit sowohl in die Materie oder Teilaspekte davon einzulesen, als auch spezifische Fragestellungen zu lösen, macht das Werk hoffentlich besonders praktikabel und lesenswert.
Wie hat sich dieses Rechtsgebiet aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahren entwickelt?
Das Arzthaftungsrecht ist ein sehr dynamisches, regelmäßigen Veränderungen unterworfenes Rechtsgebiet. Es ist besonders von Einzelsachverhalten geprägt, die oft – teils im Detail, teils umfassend – neue Rechtsfragen aufwerfen.
Es tauchen immer wieder neue Aspekte auf, die eine Zeit lang höchst aktuell sind und dann wieder in den Hintergrund treten, wie etwa beim Schadenersatz im Zusammenhang mit unerwünschter Geburt. Auch bei „Dauerbrennern“ wie der Aufklärungspflicht lassen sich über die Jahre Strömungen und Weiterentwicklungen in der Rechtsprechung feststellen. Das ist sehr spannend zu beobachten.
Natürlich bringt auch der Gesetzgeber immer wieder neue Aspekte ins Spiel, wie etwa in der letzten Zeit den Beistand für Sterbende, im Patientenverfügungs-Gesetz, im Gewaltschutzgesetz 2019 oder bei der neuen Erwachsenenvertretung und jüngst mit dem Sterbeverfügungsgesetz.
Es gibt also immer wieder Veränderungen und Neues. Gerade das macht dieses Rechtsgebiet so interessant und schafft Bedarf an aktuellen Informationsmöglichkeiten.
Was sind aktuell ganz besonders spannende Fragen in diesem Rechtsbereich?
Da gibt es ganz viele. Zum Beispiel die stetige Weiterentwicklung der Anforderungen an die ärztliche Aufklärung, aber etwa auch die Frage der Vorteilsanrechnung beim immateriellen Schadenersatz, die Judikaturdivergenzen zwischen der unerwünschten Geburt eines gesunden und eines behinderten Kindes oder die jüngst vom OGH in unterschiedlichen Entscheidungen diskutierte Frage der Beweislastumkehr/Beweiserleichterung/Beweismaßänderung im Zusammenhang mit der Kausalität eines Behandlungsfehlers für einen Gesundheitsschaden.
Spannend wird auch, welche neuen Haftungsfragen sich etwa im Zusammenhang mit der Tätigkeit von ärztlichen Personen bei der Errichtung einer Sterbeverfügung ergeben werden. Gleiches gilt für eine allfällige Impfpflicht. Auch hier ist mit zumindest der Arzthaftung im weiteren Sinn zuzurechnenden Fragestellungen zu rechnen, die teils wohl letztlich vom OGH entschieden werden.
Gibt es typische „Fehler“, die Betroffene (ob Ärzt:innen oder Patient:innen) bzw. ihre Berater vermeiden können oder haben Sie vielleicht sogar einen Tipp für die Vorbereitung des Verfahrens?
Ich weiß, dass es im medizinischen Alltag oft schwierig ist alle Anforderungen zu erfüllen, die notwendig wären, um die Gefahr eines möglichen Schadens und einer möglichen Haftung ganz zu bannen. Kommt es – vielleicht sogar trotz bestem Bemühens aller Beteiligter – dennoch zu einem zivilrechtlichen Nachspiel, kann ich aus meiner Sicht nur empfehlen, mit Verständnis für den Standpunkt der Gegenseite daran zu gehen. Dann ist schon viel erreicht. Fehler können passieren, das ist menschlich. Leider haben wir im Bereich der Arzthaftung mit den sehr wenigen Fällen zu tun, wo diese Fehler auch gravierende Auswirkungen haben. Gerade in diesem Bereich sollte man Justamentstandpunkte vermeiden und die persönliche Betroffenheit aller Beteiligten nicht aus den Augen verlieren.
Mit besonderen Tipps kann ich hier leider nicht dienen. Ich hoffe aber, dass mein Buch gerade auch bei der Vorbereitung und Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens eine wertvolle Hilfestellung bietet. Das würde mich freuen, weil ich dann mein Ziel erreicht hätte.
2021 stand Ihre Freizeit ja ganz im Zeichen der Neuauflage. Welche Pläne/Vorsätze haben Sie für ein großartiges 2022?
Ehrlich gesagt wünsche ich mir vom Jahr 2022 nur, dass es gut wird. Das wäre angesichts der Welt außerhalb der Arzthaftung schön. Ansonsten werde ich mich verstärkt wieder anderem Lesestoff als Arzthaftungsentscheidungen widmen und diese eine Zeit lang nur am Rande beobachten und sammeln. Es wird aber wohl auch in Zukunft wieder einigen Aktualisierungsbedarf geben.
Ansonsten freue ich mich auf eine schöne Zeit mit meiner Familie, etwas mehr Freizeit abseits der Juristerei und lasse mich überraschen, womit sich diese füllen wird.
Vielen Dank für das Gespräch!