Zum Jahresende erscheint im LexisNexis Verlag noch ein absolutes Kommentar-Highlight – der Köhler/Brandtner/Schmelz VwGVG Kommentar. Ein hochkarätiges Autorenteam mit umfassender Expertise im Verwaltungsrecht hat das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten fundiert und praxisgerecht dargestellt.
Dazu haben wir haben Senatspräsident Dr. Martin Köhler zum Interview gebeten:
Was zeichnet den neuen VwGVG Kommentar aus und warum darf er in keiner Handbibliothek fehlen?
Soweit ich das überblicke, handelt es sich um die bislang umfangreichste Kommentierung der Materie. Insbesondere die zentralen Bestimmungen werden eingehend kommentiert.
Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal unseres Kommentars ist die Zusammenfassung der Kommentierung sowohl der verfassungsrechtlichen Grundlagen als auch des Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten sowie wesentlicher Teile des Verfahrens vor dem VwGH. Durch die einleitende Kommentierung der Verfassungsbestimmungen werden die großen Linien der Reform herausgearbeitet. Die Kommentierung wesentlicher Teile des VwGG soll gleichsam die Fortsetzung des Verfahrens vor dem Höchstgericht erleichtern.
Durch die Einbeziehung von hervorragenden Autorinnen und Autoren aus den verschiedensten Berufsstellungen ist eine umfassende, dogmatisch tiefgehende, zugleich aber praxisnahe Sicht der Dinge eingeflossen.
Die im Anhang angeschlossenen Übersichten bieten eine klare Übersicht über das Revisionserfahren und damit ein für die Praxis hilfreiches Werkzeug, um Antworten auch für nicht alltägliche Konstellationen zu finden.
Das neue Verwaltungsverfahrensrecht ist mit der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012 Anfang 2014 in Kraft getreten – seitdem hat sich viel getan. Was sind aus Ihrer Sicht weiterhin weit verbreitete Irrtümer zu Verfahren vor den Verwaltungsgerichten?
Auf den ersten Blick wäre mir bei dieser Frage eigentlich fast nichts eingefallen, außer, dass sie Anlass gibt, etwas Grundsätzliches zum Verhältnis zwischen Verwaltungsverfahren einerseits, Verfahren vor den Verwaltungsgerichten andererseits, zu bemerken: das Verfahrensrecht für die Verwaltungsgerichte erster Instanz (VwGVG und entsprechende Bestimmungen in der BAO für das Verfahren in Abgabensachen vor dem BFG und den Verwaltungsgerichten der Länder in den Landesabgabensachen) stellt an sich für das Verwaltungsverfahren nichts Neues dar. Erstens wurde kein neues, integrales Verfahrensrecht für das Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten geschaffen, sondern grundsätzlich auf das AVG, VStG oder Zustellgesetz auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten verwiesen. Darüber hinaus wurde dort, wo es um das Rechtsmittelverfahren vor den Verwaltungsgerichten geht, sehr vereinfacht gesagt, im Wesentlichen am Verfahrensrecht für die schon zuvor arbeitenden Unabhängigen Verwaltungssenate angeknüpft. Das große Problem dabei war (und das sieht man in verschiedenen Punkten, wenn man die Entstehungsgeschichte des VwGVG betrachtet), wieviel Berufungsverfahren und wieviel VwGH-Verfahren man im verwaltungsgerichtlichen Verfahren verpacken kann.
An dieser Stelle ist einerseits der Einfachheit halber auf die Kommentierung des § 17 VwGVG von Gottfried Jantschgi zu verweisen. Aus seiner detaillierten Übersicht über die Rechtsprechung des VwGH, welche der in der jahrzehntelangen Rechtsprechung des VwGH zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen entwickelten Grundsätze auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren ihre Gültigkeit haben, wird eigentlich am besten dokumentiert, dass das österreichische Verfahrensrecht auch nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle über weite Strecken auf bewährten Grundlagen beruht.
Das soll aber nicht verdecken, dass die Novelle selbstverständlich auch neue Probleme und verfahrensrechtliche Fragestellungen mit sich gebracht hat. Gerade die Frage des Verhältnisses zwischen den Verwaltungsbehörden einerseits, den Verwaltungsgerichten andererseits, und der Spagat, den der Verfassungsgesetzgeber dem einfachen Verfahrensgesetzgeber aufgezwungen hat, zwischen der Kontrollaufgabe der Verwaltungsgerichte einerseits, ihrer Verpflichtung, in der Verwaltungssache zu entscheiden andererseits, einen praktikablen Weg zu finden, werden die Verwaltungsrechtsprechung aber auch die Verfahrensdogmatik die nächsten Jahrzehnte beherrschen. Der ambivalenten Stellung der Verwaltungsgerichte wurde bislang vielleicht von Gesetzgebung und Rechtsprechung zu wenig Augenmerk gewidmet. Ich denke da insbesondere an die Vielzahl der unterschiedlichen Verfahrenskonstellationen, die meist eher schematisch mit dem Rückgriff auf die Sachentscheidungsverpflichtung der Verwaltungsgerichte gelöst werden, oder die gravierenden Auswirkungen, die die Ersetzungsthese (derzufolge das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts an die Stelle der Entscheidung der Verwaltungsbehörde tritt) auf Korrekturmöglichkeiten, wie sie früher mit § 68 Abs. 2 bis 4 AVG gegeben waren, hat.
Gibt es einen kleinen „Geheimtipp“ für Anwälte, was es bei Verfahren vor den Verwaltungsgerichten zu beachten gilt?
Ich glaube, man braucht den Anwälten keine „Geheimtipps“ geben. Der gute und findige Anwalt stößt zwangsläufig auf die Schwachstellen im jeweiligen Verfahren, die mit Mitteln des Verfahrensrechts auch für seinen Mandanten ausgenutzt werden können. Ich sehe aus meiner beruflichen Erfahrung allenfalls gewisse Knackpunkte für die praktische Tätigkeit des Anwalts in der Fokussierung auf die entscheidende Rechtsfrage bei der Formulierung der Zulässigkeitsbegründung im Revisionsverfahren.
Was sind aus Ihrer Sicht die spannendsten Entwicklungen der letzten Jahre im Verwaltungsverfahren?
Hier wären wohl verschiedene Dinge zu erwähnen: da wäre einmal der (zumindest: bisherige) Flop des Standortentwicklungsgesetzes, dem aber von verschiedenster Seite eine besondere Bedeutung beigemessen worden war. Zum anderen aber eigentlich „das, was noch nicht passiert“ ist, wo aber durchaus Diskussionsansätze da sind, wie eine neuerliche Durchforstung des Wildwuchses an Sonderverfahrensrecht in den Materiengesetzen. Man denke da etwa nur an die AVG-Novelle 2018 und die begleitenden Sondernormen im UVP-G 2000 und im WRG 1959 und AWG, die nur die Fortführung eines schon länger bestehenden Trends zur Diversifizierung im Verfahrensrecht sind. Darüber hinaus natürlich an die verschiedenen Ansätze zur Schaffung wirksamer Instrumente gegen Verfahrensverzögerungen. Man müsste sich die Mühe machen und die verschiedenen Lösungsvarianten auf ihre Praktikabilität untersuchen und dann vielleicht wieder einmal eine generelle Regelung im AVG treffen, auch wenn dies angesichts der etwas mäandrierenden Rechtsprechung des EuGH (man denke nur an die Urteile in den Rechtssachen Europäische Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland, C-137/14, einerseits, Protect, C-664/15, andererseits) mit gewissen Unwägbarkeiten verbunden sein mag.
Schließlich darf man natürlich nicht die möglichst sinnvolle Regelung des Bereichs des Einsatzes elektronischer Möglichkeiten in der Verwaltung vergessen, wobei ich nicht zuletzt – auch das ein Thema, das mich seit mehr als 30 Jahren begleitet – insbesondere an die Harmonisierung auf Unionsebene denke. Die Ermittlung des praktischen Wegs einer Zustellung in einem anderen Unionsmitgliedsland und erst Recht der verfahrensrechtlichen Konsequenzen von Schwierigkeiten bei der Zustellung, etwa wenn der Empfänger vom ausländischen Zustellorgan nicht angetroffen wird, sollte im Jahre 2020 keine so große Hexerei mehr sein als sie es tatsächlich ist.
Gibt es eine Anekdote in Ihrer beruflichen Laufbahn, an die Sie besonders gerne zurückdenken und die Sie mit uns teilen würden?
Situationen zum Schmunzeln, egal ob im Augenblick des Ereignisses oder erst Jahre danach, an die man sich gerne erinnert, gibt es natürlich etliche. In meinem Fall sind einige davon mit den Ereignissen im Dezember 1984 bzw. dem Jahreswechsel 1984/85 in der Hainburger Au und den damit verbundenen rechtlichen Wirrnissen, die den Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt damals beschäftigten, verbunden. Dazu zählen etwa auch solche rund um den legendären, überraschenden Beschluss auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im wasserrechtlichen Beschwerdeverfahren.
Kurz erzählen lässt sich aber vielleicht folgende, mit meiner Person verbundene Begebenheit, die mich im wahrsten Sinn des Wortes mein ganzes Berufsleben begleitet: während meiner Zeit als Rechtspraktikant am BG Liesing bei Frau Dr. Hostek meinte diese einmal im Small-Talk zu mir: „Herr Kollege, Anwalt können Sie keiner werden. Sie erklären ja Ihrem Mandanten, wieso er den Prozess verlieren würde!“