(Hier kommen Sie zur Aufzeichnung des ZFR-Roundtable )
Die COVID-19-Pandemie führte zu einer Vielzahl von gesetzlichen Maßnahmen – auch und gerade in den für die Finanzbranche relevanten Rechtsbereichen. Dazu setzte das beliebte junge Veranstaltungsformat des ZFR-Roundtable am 13. Mai 2020 wieder die Segel, um einen – diesmal virtuellen – Kahn von rund 50 TeilnehmerInnen zwischen Skylla und Charybdis[1] hindurch zu navigieren. Denn zur Diskussion stand das Kreditmoratorium[2] (§ 2 2. COVID-19-JuBG),[3] seine Entstehungsgeschichte und die zahlreichen damit einhergehenden Auslegungsfragen. Als Experten konnten Verlag und ZFR-Herausgeber Hon.-Prof. Dr. Johannes Stabentheiner (Abteilungsleiter in der Zivilrechtssektion des BMJ) und Hon.-Prof. Dr. Bernhard Koch (Leiter Legal Services RBI-AG) für die Teilnahme gewinnen; beide standen dem aktiv inquirierenden Moderator Rainer Wolfbauer sowie dem interessierten Publikum bereitwillig Rede und Antwort.
Eingangs skizzierte Stabentheiner aus erster Hand die allgemeinen Rahmenbedingungen für die legistischen Justizpakete, die der Nationalrat als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie beschlossen hatte. Einerseits sei es das erklärte Ziel der BReg gewesen, die Gesamtsituation der BürgerInnen in einzelnen sensiblen Bereichen (Wohnrecht, Kreditvertragsrecht etc) zu erleichtern, andererseits, damit in aufrechte Vertragsverhältnisse so minimal-invasiv wie möglich und zeitlich auf das Nötigste begrenzt einzugreifen; das gelte grds auch für § 2 2. COVID-19-JuBG. Ohne diese Eingriffe wäre das Regelungsziel – so Stabentheiner – kaum zu erreichen gewesen. Demnach sei § 2 2. COVID-19-JuBG seiner Einschätzung nach auch verfassungskonform, da diese Regelung die Hauptleistungspflichten nicht aufhebe, sondern deren Fälligkeit „nur“ drei Monate aufschiebe;[4] der Gesetzgeber habe somit in einer Notsituation das gelindeste Mittel gewählt. In Zusammenschau mit der zeitlichen Befristung sei damit der gesetzliche Eingriff in aufrechte Vertragsverhältnisse[5] gerechtfertigt.
Die Notwendigkeit eines gesetzlichen Eingriffs stellte Koch allerdings infrage; denn auch ohne gesetzlichen Zwang käme es – wenn es die Umstände erforderten – zu Stundungsvereinbarungen zwischen den Kreditvertragsparteien. In der Folge führte Koch vor Augen, welche Herausforderungen das Kreditmoratorium aus der Perspektive der Banken mit sich bringe: Von der erzwungenen kurzfristigen Neuorientierung der Banken über den zum Teil großen administrativen Aufwand (vgl § 2 Abs 6 leg cit) bis hin zu zahlreichen praktischen Unklarheiten, denen nur eine pragmatische und flexible Herangehensweise im Einzelfall gerecht werden konnte. Ein anschauliches Beispiel für diese Schwierigkeiten in der Anwendung der neuen Regelungen sei die Erklärung des Kreditnehmers, das Kreditmoratorium in Anspruch nehmen zu wollen; die Beweislast für die materiellen Voraussetzungen des § 2 Abs 1 leg cit liege nach allgemeinen Beweislastregeln beim Kreditnehmer. Wie die Banken die Plausibilität der Angaben überprüfen würden, sei jedoch sehr unterschiedlich; Koch verwies in diesem Zusammenhang auf den „Hausverstand“.
Thematisiert wurde auch der Anwendungsbereich des Kreditmoratoriums. So wirkt es prima vista überraschend, dass zB Leasingverträge nicht davon erfasst sind, obwohl es für den Verbraucher kaum einen Unterschied macht, ob er den Erwerb seines Fahrzeugs über einen Kredit- oder einen Leasingvertrag finanziert. Stabentheiner konnte dafür sachliche Gründe anführen: Während bei Kreditverträgen va die Dauer der Kapitalbindung im Vordergrund stehe, sei beim Leasingvertrag das zentrale Element die Nutzung des Leasinggegenstandes. Getragen vom legistischen Gedanken der minimal-invasiven Eingriffsintensität sollte die Nutzung des Leasinggutes nicht um drei Monate verlängert werden; zusätzlich hätte eine solche Regelung va betriebswirtschaftlich noch mehr Unklarheiten aufgeworfen.
Auch das Publikum richtete mehrere Fragen an die Diskutanten: Fallen während des Moratoriums die gesetzlichen Verzugszinsen oder die vertraglichen Kreditzinsen an? Wie ist die Rechtslage, wenn der Kreditnehmer den Kredit automatisch durch SEPA-Abbuchungen bedient? Stabentheiner und Koch schlossen die lichtvolle Diskussion mit versöhnlichen Aussichten: Wenngleich Unsicherheiten iZm der Handhabung von § 2 2. COVID-19-JuBG bestünden, seien zurzeit nur wenige Konflikte zu berichten. Jedenfalls aber – so der abschließende Appell von Stabentheiner – wäre es von Vorteil, wenn der Gesetzgeber auf zukünftige Ausnahmesituationen nicht unvorbereitet zusteuern würde, sondern Vorsorge träfe. Damit scheint die gefährliche Meerenge überwunden und am Horizont taucht die Insel des Helios auf. Auf dass wir für die nächste Krise besser gerüstet sein mögen![6]
Michael Pfeifer
[1] Zu diesem Bild – jedoch ausschließlich bezogen auf die Banken – schon Riss/Winner/Wolfbauer, Editorial, ZFR 2020/4, 161 f.
[2] Dazu Kellner/Liebel, in diesem Heft.
[3] BGBl I 2020/24.
[4] Dazu schon der Titel des § 2 COVID-19-JuBG „Verschiebung der Fälligkeit von Zahlungen bei Kreditverträgen“.
[5] Art 5 StGG; Art 1 Abs 1 1. ZPEMRK; dazu VfSlg 11.501/1987, 12.227/1989, 14.500/1996, 14.503/1996.
[6] Anders als die letzten Gefährten des Odysseus, die – nach ausgiebiger (frevelhafter) Labsal an den Rindern des Helios – bei der Weiterfahrt im Seesturm umgekommen sind (Odyssee, 12. Gesang).